Donnerstag, 4. August 2011

Ich sitze hier im Fairtrade-Café in Poole...

 Da ich leider den Steckeradapter vergessen habe, werde ich eine Diashow nachreichen, versprochen!

Samstag, 30.07.2011 Dunkerque – Dover, ca. 50 Seemeilen, 10,5 h Fahrt

Der Wetterbericht von Oostendradio für die Gebiete Thames, Dover und belgische Küste sagt N bis NNw 4 - 5 abnehmend 3 – 4 bft für den Abend voraus. Sicht moderat bis gut, sehr bewölkt mit der Möglichkeit, dass es regnet. Wellenhöhe 1 – 1,5 m.

(The weatherforecast of Oostendradio for the sea areas Thamse, Dover and the Belgish coast: Wind N to NNW 4 – 5 decreasing 3 – 4 in the evening, seastate 1 – 1,5 m, visibility moderate or good, very cloudy with risk of rain. - We´d prefer a sunny day but the rest sounds okay, so we´ll start at 0800 o`clock in the morning.)

Abgesehen davon, dass uns Sonne lieber wäre, hört sich das doch gut an. Außerdem: wir müssen nun endlich weg hier!
Um 0800 Eindampfen in die Vorspring, Leinen los und rückwärts weg vom Steg. Um 0810 Uhr laufen wir aus dem Hafen aus, noch ein Abschiedsbild vom Leuchtturm und ab dafür.
Um 0820 sind die Segel gesetzt und der Motor aus. Kurs 260°C. Um 0830 habe ich das erste Mal gekotzt, sorry, aber so war´s halt. Interessanterweise ist bei uns eher Jock für die Seekrankheit zuständig, ich kenne das gar nicht so von mir. Die Welle ist sehr ruppig, 1 – 1,5 m stimmen zwar, aber die Abstände zwischen den einzelnen Wellen sind so kurz, dass es einem einfach auf den Magen schlagen muss! (Jock wartet heute damit, bis wir mitten im VTG sind, da geht es mir dann schon längst wieder gut, Teamwork, mal wieder.)
Aber ich glaube trotzdem, dass sich bei mir einfach die Anspannung der letzten beiden Wochen bemerkbar macht, mit ihrem ganzen aufregenden Hin und Her, Reparatur ja oder nein, Heimfahren ja – nein, dann doch nicht und außerdem haben wir die ganzen 14 Tage ständig Verhandlungen per Email und Telefon wegen dem Verkauf unserer Firma geführt, die auch etwas an den Nerven gezerrt haben. Nun ist alles gut und die Anspannung lässt nach und bahnt sich ihren Weg...

Wider Erwarten gibt es den ganzen Tag keinen Tropfen Regen, aber die hohe, ruppige Welle bleibt uns erhalten und bleibt auch so, bis wir nach 6,5 h hinter dem Verkehrstrennungsgebiet auf Kurs 240° C gehen können. Im Verkehrstrennungsgebiet setzt die Welle seitlich mit bis zu 3 m Höhe, d. h. eine Welle nach der anderen ausreiten und das VTG gleichzeitig möglichst im 90°-Winkel queren und zwar so, dass der Bug im rechten Winkel zum VTG zeigt. Dass ist bei uns ein 310°-Kurs. Dies ist jedoch leichter als gedacht und auch der Schiffsverkehr hält sich in Grenzen: die ersten 6 sm guckst du nach links, siehst die Pötte schon von Weitem kommen und kannst sie vorüber lassen, dann kommt eine kurze Lücke von einer halben Seemeile und dann guckst du 6 sm nach rechts. Insgesamt mussten wir die Fahrt dreimal verlangsamen, um Seeschiffe, die wirklich in einem sagenhaften Tempo unterwegs sind, vorbei zu lassen. Es komme bitte niemand auf die Idee, ach, da kann ich ja noch rasch vorbei: nada, nee! Nie, niemals darf man hier bei eingeschränkter Sicht oder gar Nebel fahren, das kann wirklich tödlich enden! Wir hatten eine Supersicht, schon kurz nach Verlassen Dunkerques, d. h. Gravelines mit seinem Atomkraftwerrk querab, konnten wir die englische Küste ausmachen. Und auch von Dover aus war Cap Gris Nez noch deutlich zu erkennen. Zu sehen, wo man hinfährt, hat sehr zur Beruhigung der Nerven beigetragen. Auch waren wir froh über unser großes, stabiles, seetüchtiges Boot. Die Vorstellung hier mit unserem ersten Boot „Marric“, einer kleinen holländischen Domp 770, oder sogar mit „Haggis“, unserem zweiten, zwar größeren Schiff, aber einem Klassiker mit niedrigem Freibord hierherzufahren, ist nicht besonders prickelnd. (Und doch sehen wir am nächsten Tag tatsächlich ein Kajak in Begleitung eines Motorbootes zur Überquerung des Kanals starten. Diese Vermutung wird eine Stunde später verifiziert, als dies über Funk bekanntgegeben wird: der Kajakfahrer ist nun im VTG! Selbst SchwimmerInnen queren den Channel und wir stellen uns so an. Aber ohne Quatsch: es ist ein äußerst anspruchsvolles Gebiet, das gute Navigations- und Gezeitenplanung voraussetzt.)

Das Wetter ist besser als angekündigt: je näher wir nach England kommen, desto mehr scheint die Sonne. Wir sind froh, Frankreich endlich hinter uns lassen zu können und freuen uns auf England!

Unsere Tidenplanung hat auch gut gepasst, der Strom hat uns zwar erwartungsgemäß im VTG nach rechts versetzt, aber das war ja eingeplant. Deshalb sind wir mit Strom bis auf die Höhe von Calais gesegelt, damit wir nicht zu weit Richtung Sandettiesandbank abgetrieben werden (man kann ja beim Queren nicht vorhalten). Mit uns startete eine andere Hunter, die – wie wir beim ersten Versuch auch – früher rechts abgebogen ist. Sie kam auch nach Dover, aber eine Stunde nach uns.
Wir erreichen also die englische Küste und das Wasser färbt sich türkis! Die Sonne wärmt, Wind und Welle lassen nach, der Anblick der berühmten Kreidefelsen – für uns ein Wiedersehen, wie nach Hause kommen – lässt die Herzen höher schlagen. Schlagartig hat man das Gefühl endlich im Sommer angekommen zu sein. Wir müssen noch 10 sm an der englischen Küste entlangsegeln, bevor wir auf Kanal 74 bei Dover Port Control, um Erlaubnis bitten, in den Hafen fahren zu dürfen. Zuerst meldet man sich 2 sm nordöstlich an, bekommt dann gesagt, dass man sich gut nördlich der Hafeneinfahrt halten soll, um den ständig ein- und ausfahrenden Fähren nicht ins Gehege zu kommen und erhält dort dann die Erlaubnis zur Einfahrt – von Norden kommend in den Western Entrance von Süden kommend in des Eastern Entrance. Gleichzeitig fragen wir nach, ob es möglich ist im Outer harbour zu ankern und bekommen auch diese Erlaubnis erteilt. Dies alles ist kein Act of courtesy, sondern ein Muss. Hier geht es zu wie im Taubenschlag und das muß geregelt werden.

Wir lassen also nach 9,5 h Fahrt und rund 50 Seemeilen den Anker auf 3 m Tiefe im äußeren Hafenbecken fallen. Schiffsposition: 51°07´079 N und 001°19´296 E. Mit uns ankern noch eine Handvoll weiterer Yachten aller Größen und Nationalitäten. Eine ist eine 50-Fuß Oyster und wir fragen uns, ob die wohl kein Geld mehr für die Hafengebühren übrig haben, nachdem sie ca. 1 Million € für ihr Boot ausgegeben haben?
Wir jedenfalls nicht, denn die Häfen in England sind unglaublich teuer im Vergleich zu Holland, Frankreich oder erst recht Deutschland. Außerdem wollen wir um 0500 morgen früh wieder los, da lohnt sich das Zahlen von 25,-Pfund nicht.
Abgesehen davon haben wir das Gefühl, uns im Paradies zu befinden. Das Wasser ist unwirklich grün-türkis-glasklar und spiegelglatt. (Der Wind ist auf 2 bft zurückgegangen) Es ist warm!!! Wir genießen den Sommer mit Kaffee und holländischem Lebkuchen an Deck und räumen das Cockpit erst als es dunkel, das Castle erleuchtet ist und die Leuchttürme ihren beruhigenden Lichtstrahl über das Meer und den Hafen gleiten lassen. Gerade als wir in der Koje sind, gibt es draußen einen Knall: ein Feuerwerk! Wir stürzen wieder an Deck, um etwas zu sehen, da ist es auch schon wieder vorbei. Wahrscheinlich kam es von dem Kreuzfahrtschiff im Hafen, denn dort ist Musik und Remmidemmi.
Todmüde, zufrieden und glücklich, dass wir endlich hier sind und dass es weitergeht fallen wir in die Betten und schlafen den Schlaf der Gerechten.

Sonntag, 31.07.2011 von Dover nach Shoreham, 70 Seemeilen, alles mit Strom!

Ein köstlicher, ein herrlicher Morgen begrüßt uns, ebenso wie die vergangene traumhaft schöne Nacht, die sternenklar und warm war und leider ziemlich schlaflos für mich, deswegen konnte ich sie aber auch genießen.
Wir sind nicht die ersten, als wir um 0515 den Hafen verlassen (Permission to leave the harbour erbeten und erteilt bekommen von Dover Port Control). Mit uns die Oyster, die Jock so toll findet. Die Sonne geht auf, als wir gerade die Segel gesetzt haben. Sie wird uns den ganzen Tag treu bleiben. Das Meer ist smooth, keine Welle bei einem schönen Segelwind. Der Motor bleibt praktisch den ganzen Tag aus. Bei dem WSW können wir keinen direkten Kurs anlegen und kreuzen großzügig.
Wir beobachten den bereits erwähnten Kajakfahrer,eine Stunde später hören wir auf Kanal 11 den Dover Maritime Safety Information Service sagen, dass soeben ein begleiteter Kajakfahrer das VTG be“treten“hat.

Auch heute ist die Sicht sagenhaft gut, glasklar. Haben schon um 0843 Kap Dungeness querab. Dort steht ein gewaltiges Kraftwerk, dass wir schon seit vielen Seemeilen durch´s Fernglas und dann mit bloßem Auge anpeilen. Trotzdem säumen Dutzende von Anglern den Strand, wahrscheinlich kommen die Fische schon gekocht aus dem Meer ;-) Bei der Anzahl der Angler, die wir auch in den ganzen nächsten Tagen beobachten werden, wundert es einen, dass es überhaupt noch Fische im Wasser gibt. Angeln ist hier ganz klar der Volkssport Nr. 1. Wobei sich uns manches Mal der Gedanke aufdrängt, dass dies auch sehr zur Entlastung der Haushaltskasse beiträgt.

Beständig haben wir den Strom mit uns, so dass wir trotz relativ wenig Wind meist zwischen 5 und 6 kn segeln. Vorbei an Hastings nähern wir uns Eastbourne mit den dahinter liegenden, sagenhaft schönen Seven Sisters, einer Kreidefelsküste, die sich in sieben Bögen Richtung Beachy Head mit seinem berühmten, im Wasser vor den weißen Felsen stehenden rot-weißen Leuchtturm, nähert.
2004 sind wir hier mit unserem Sohn Tim hergewandert als wir den South Downs Way mit Rucksack und Zelt gelaufen sind. Damals haben wir uns in England und seine bezaubernd schöne Gartenlandschaft verliebt.
Segeln ist wirklich in erster Linie ein Naturerlebnis, genau wie Wandern. Es ist so herrlich, immer wieder auf´s Neue das Meer, den Himmel, die Tiere, die vorbeiziehenden Landschaften, wenn man an der Küste segelt, zu beobachten. Niemals wird es langweilig, immer geht einem das Herz auf. Natürlich umso mehr bei so schönem Wetter, wie wir es heute haben. Gott sei Dank stört auch kein Motorenlärm die himmlische Ruhe. Wir rauschen durch´s Wasser, nur das Wasserplätschern und die Möwen sind zu hören. Ich fotografiere und fotografiere und kann mich gar nicht satt sehen.
Hohe Cyrren und Schäfchenwolken, also Altocumulus lassen schon ahnen, dass dieser Sommerspaß schon bald ein Ende haben wird. Aber noch scheint die Sonne!
Newhaven können wir nicht anlaufen, weil dies ein Tidenhafen ist. Dort sind wir um 1630. In Brighton waren wir auch schon zweimal und haben eigentlich keine Lust mehr auf die Abzocke dort. (Über 30,-Pfund bezahlten wir dort im vergangenen jahr und durften dafür noch auf Päckchen liegen.) Andererseits sind wir auch schon lange unterwegs und langsam müde. Wir fahren also doch rein. Drinnen erwartet uns die gleiche Situation wieder: der Hafen ist angeblich voll und wir sollen uns auf Päckchen legen (alongside berth), obwohl ein ganzes Hafenbecken leer steht. Nein, darauf haben wir keine Lust! Arrogant rauschen wir wieder aus dem Hafen und wedeln mit dem Schwanz... ...um draußen erst mal dumm aus der Wäsche zu gucken. Denn wir brauchen ja eine gute Unterkunft für die Nacht. Ankern ist hier, wo die Küste so offen ist, nicht möglich. Also erstmal Karte und Reeds befragt und der hat auch, wie immer, eine Antwort für uns: da gäbe es noch Shoreham nur fünf Seemeilen weiter. Aber auch ein Tidenhafen, den wir erst in drei Stunden anlaufen können. Wir streiten uns ein bißchen darüber, ob wir uns durch unsere Arroganz und Leistungsverweigerungshaltung nicht selbst am meisten schaden, nehmen dann jedoch Kurs auf Shoreham auf, das ja auch Neuland darstellt. Über Funk frage ich an, ob es noch ein „berth“ für uns gibt. „Ja, kein Problem, Madam, um 2030 öffnet sich die Schleuse für Sie. Bleiben Sie standby, wir bitten Sie herein.“ Wir lassen also den Anker vor der Einfahrt fallen und warten auf steigendes Wasser Die Sonne scheint, wir lesen im Cockpit und sind gespannt, was uns dort erwartet.

Um 2015 Anker auf und rein in den Hafen. Anmelden vor der Schleuse, die ein Sill hat. Wassertiefe ist für uns mit 1,52 m Tiefgang ausreichend, wir dürfen rein. Sehr, sehr eng die Einfahrt, hohe Betonwände links und rechts, so eine Art klaustrophobischer flashback von Dunkerques Kranbox befällt uns. Aber nach den ersten fünf Metern erweitert sich die Schleusenbox und bietet uns unerwartet gute Schwimmstege zum festmachen. Als das Wasser dann in die Schleusenkammer einschießt, wissen wir auch warum: das kommt einer Fahrt auf Stromschnellen gleich. Aber wir sind gut fest. Der Schleusenwärter kommt mit der Hafenanmeldung, die wir auch sogleich ausgefüllt zurückgeben müssen. Raus aus der Schleuse erwartet uns der Charme eines Fischerei-Industriehafens in dem in zwei kleinen „“““Marinas“““ viele Festlieger an Bord leben. Uns ist es schnurz. Wir haben einen guten Platz. Der Ort hat jedoch kein Essen mehr für uns und wir haben auch keins mehr. Also Dinnercancelling und ab in die Koje.
Heute haben wir den Nullmeridian übersegelt und es hat gar nicht weh getan. Unsere Position heute abend: 50°49´53 N und 000° 14´85 W.

Montag, 01.08.2011 Von Shoreham nach Chichester Harbour, ca 41 Seemeilen, 7 h 15`

HW Shoreham ist um 1311, d. h. zwischen 0900 und 1700 können wir raus aus der Schleuse. Der inshore weatherforecast für das Seegebiet für North Foreland bis Selsey Bill bis 12 nm offshore sagt für heute voraus: E or SE 3 - 4, seastate smooth or slight, weather fair, visibility moderate or good.
Den jeweils aktuellen Wetterbericht des Met Office UK bekommt man alle drei Stunden über Funk. Da sind die Briten absolut vorbildlich. Vorankündigung auf Kanal 16, wo man dann erfährt, auf welchen Kanal man umschalten muß.
Da wir also heute morgen keinen Stress haben, gehen wir erst einmal in den Ort, denn wir haben a) britischen Boden noch nicht betreten und b) nichts mehr zu essen an Bord (das ist natürlich alles relativ – wenn man sich unsere Vorratskisten anschaut, kann man nicht gerade sagen, dass da NICHTS drin wäre, aber so essentielle Dinge wie Brot, Milch, Gemüse, Salat und Obst sind aus und Nudeln zum Frühstück, naja.)
Wir gehen also in den Ort und sind sofort wieder entzückt: die Häuser sind einfach nett, wie aus dem Bilderbuch, tief heruntergezogene Dächer, z. T. aus Reet, Backstein, große Kamine, wunderbar üppige Blumengärten, Pubs mit einladenden und originellen Schildern, auf denen für homemade traditionell food geworben wird. Auf der High Street findet sich alles, was einen hungrigen Bauch erfreut: Gemüsegeschäfte, Asian food, Falafelimbiss ebenso wie einen gutsortierten Supermarkt, den wir aufsuchen. Aus Brot, Milch und Obst werden schließlich vier Einkaufstaschen.voller Leckereien. England ist wirklich ein Paradies für Vegetarier!!! Erstens gibt es unglaublich viele vegetarische Lebensmittel und zweitens sind diese glasklar mit einem V gekennzeichnet, so dass man nicht jedesmal die komplette Zutatenliste studieren muß, was mir auch ohne Lesebrille auch zunehmend schwer fällt ;-). Außerdem gibt es richtig gute Convenience-Produkte, was, wie ich leider zugeben muß, für die Bordküche sehr angenehm und außerdem energiesparend ist (wir knausern immer mit dem teuren Camping-Gas. Wir kaufen Hoummus, Falafel, fertige nicht tiefgekühlte Pizza, Erdbeeren, Himbeeren, Bananen, Salat, Spinat, Gurken, Tomaten, 5 kg Kartoffeln, Zwiebeln, Auberginen, Zucchini, Käse, Oliven, Coleslaw, Brot (der einzige Nachteil: spongebread (Schwammbrot) all over, kein normales, sprich „hartes“ (Vollkorn)brot ist hier zu bekommen, ebensowenig wie in Holland oder Frankreich, mein Schwarzbrotvorrat ist leider auch erschöpft), Bier und Wein. Es ist nicht nur lecker, sondern auch billig: der ganze Spaß hat uns 42,- Pfund gekostet, das sind ca. 49,-€. Vollbepackt und glücklich ziehen wir von dannen.
Nachdem wir uns mit britischen Pfund eingedeckt haben, können wir auch den Hafen bezahlen, der mit 20,- Pfund auch nicht gerade billig ist, uns aber zufriedengestellt hat.
Um 1215 sind wir durch die Schleuse. Die Sonne scheint wieder, wir segeln im T-Shirt, kein Ölzeug, kein Pullover! Wir setzen die Segel und legen Kurs 252° C auf die Boulder Street an. Das ist eine schmale Passage südlich von Selsey Bill (einer Landzunge), markiert durch ein rot-grünes Tonnenpaar, die durch Sandbänke links und rechts davon führt und bei guten Wetter sicher befahrbar ist. Somit spart man sich einen großen Umweg südwärts.
Auf dem Weg dorthin ziehen Nebelbänke auf. Die Szenerie wird unheimlich: wallendes Weiß umwabert uns und trotzdem scheint noch die Sonne, jedoch wie durch eine Milchglasscheibe. Das Gefährlichste, was uns hier passieren kann, ist das wir einen der vielen Crab-pots überfahren, die die Fischer hier (wie im Ijsselmeer) an allen möglichen und unmöglichen Stellen versenken und mit einem winzigen Bällchen oder Fähnchen versehen. Die Sichtweite beträgt noch immer ca. 150 m und mit Großschifffahrt ist hier, so dicht unter Land, nicht zu rechnen. Tatsächlich begegnen uns in den drei Stunden, die uns der Nebel erhalten bleibt, nur eine Handvoll Fischerboote und zwei Segler. Pünktlich zur Durchquerung der Boulder Street lichtet sich der Nebel wieder. Mittlerweile haben wir fast keinen Wind mehr, so dass uns nur noch der Strom mit 2 kn voran treibt. Das ist schnell genug, denn wir planen unsere Ankunft in Chichester Harbour für Niedrigwasser, damit wir mit auflaufendem Wasser hineinfahren können. Pünktlich zu Niedrigwasser navigieren wir im 13°-Kurs in die Flußmündung. Keine Probleme, jede Menge Tiefgang und wenig Strom. Wir segeln im Abendsonnenlicht – die Luft ist extrem feucht vom Nebel, es hängen glitzernde Tropfen an den Relingsdrähten – in die romantische Lagunenlandschaft. Links die Sparks Marina, die wir auch genau da liegen lassen, denn wir wollen wieder ankern. Am auf der Karte eingezeichneten Ankerplatz, der sich geschützt hinter einer Halbinsel verbirgt, ankern schon wieder ca. 10 Yachten, außer Engländern, ein Holländer und nun wir. Auch hier ist es fast unmöglich nicht begeistert zu sein. Die Natur ist so schön, ein Paradies: flaches Lagunenwasser, Kinder baden im warmem Wasser (24°C!), Seevögel kreischen und suchen nach Beute, der Blick schweift über grünes Wasser vor sandigem Ufer mit Dünenlandschaft dahinter. In der Ferne ein paar Häuser, sonst nur Boote und Natur und wir. Die Sonne bietet wieder ein grandioses Schauspiel, bevor sie untergeht. Das ist ein Ort zum Urlaub machen mit kleinen Kindern. Mich erinnert es an einen der vielen Osterurlaube am Lago Maggiore in meiner Kinderzeit.

Dienstag, 02.08.2011, von Chichester Harbour durch den Solent zur Studland Bay, ca. 48 Seemeilen, 8 h 45`

Abfahrt nach gemütlichem Frühstück zwei Stunden nach Niedrigwasser aus dieser traumhaften Lagune von Chichester Harbour. Das ist wirklich eine für uns aus der Not heraus geborene (dem Wunsch entsprechend teure Marinas zu vermeiden), absolut empfehlenswerte Neuentdeckung!
Der Nebel hat sich weitgehend verzogen, doch es hängt noch ein Dunst in der Luft. Wir nähern uns dem Solent, wo wir vor einem Jahr unsere Jaybarida in Southampton gekauft haben. Wir segeln vorbei an den beiden Forts, die mitten ins Wasser gebaut wurden (zu welchem kriegerischen Zweck, weiß ich leider nicht, jedenfalls sind sie schon ziemlich alt). Am berühmten Cowes vorbei (die nächste Cowes Week, das größte Segelevent der Welt beginnt ,Gott sei Dank, erst am kommenden Wochenende. Noch ist es also nicht völlig überfüllt hier und wir genießen die Ausblicke auf die Isle of Wight. Da wir zu früh dran sind, um duch die Needles zu fahren (weil dort sonst ein zu starker Strom setzt) und wir außerdem von unseren Leckereien essen wollen, ankern wir im Newton River. Nach dem Essen gehe ich baden, wichtig, weil uns die nötige Dusche fehlt. Sogar Haarewaschen geht. Jock sichert mich mit einem Fender an einer Leine, denn der Strom setzt hier mit bis zu 4 kn. Das Wasser ist warm und frisch zugleich. Überall um uns herum haben die Leute Spaß mit, in, auf und am Wasser. Es ist Hochsommer in England und für uns auch das Sommerlichste, was wir für dieses Jahr erleben dürfen (vielleicht abgesehen vom allerersten Segeltag mit Dorothee und Stephan von Emden nach Borkum)!
Nach unserer Mittagspause motoren wir gegen den Wind, aber mit Strom duch die Needles. Da der Wind mit 10 kn nicht stark ist, stellt die berüchtigte „Wind-gegen-Strom“-Situation kein Problem dar. Wir stellen einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf: 10,2 kn Fahrt über Grund!!! Der Strom schiebt mächtig, aber problemlos, da er nicht seitlich setzt, wie beim letzten Mal. Letztes Jahr ging unsere zweiter Tag mit Jaybarida direkt durch die Needles und wir hatten gewisse Probleme, als uns der Strom zum Ende hin plötzlich stark nach rechts Richtung „Shingles“-Sandbank drückte.
Ruckzuck sind wir nun raus aus dem Solent und legen Kurs an auf Swanage, einem hübschen, kleinen Badeort mit blitzweißem Sandstrand, in dessen Badebucht wir entweder ankern wollen, oder, wenn Platz sein sollte am Town Pier für 10,- Pfund/Nacht festmachen möchten. Dieser Kurs ist jedoch nicht segelbar, also kreuzen wir. Vor uns Poole und Studland Bay, wo wir im vergangenen Jahr zum ersten Mal mit Jaybarida ankerten. War das noch aufregend, aber wunderschön! Eine Vollmondnacht, die ich so schnell nicht vergessen werde, denn ich bin die ganze Nacht wach geblieben, um die Ankerposition zu kontrollieren. Wir hatten beschlossen, abwechselnd Ankerwache zu halten. Jock hatte die erste Wache. Da er sich so sicher war, dass wir gut liegen, ist er nach 10 Minuten eingeschlafen. Also durfte ich...
Mittlerweile habe auch ich die Sicherheit gewonnen. Wir kontrollieren mehrfach die Position bis zum Schlafen gehen mit GPS und Landmarken. Hat sich bis dahin nichts getan, kann man eigentlich sicher sein, dass das auch die Nacht über so bleibt, es sei denn, das Wetter ändert sich dramatisch. Im vergangenen Jahr ankerten wir z. B.drei Tage in Lulworth Cove, einer perfekt runden topfartigen Bade- und Ankerbucht ca. 30 Seemeilen westlich von Poole, eingeschlossen von hohen, grünbewachsenen Kreidefelsen, die sich nur auf eine Breite von ca. 50 m zum Meer hin öffnen. Man liegt dort wie in Abrahams Schoß. In der dritten Nacht jedoch drehte der Wind und rauschte als Fallwind die umliegenden Hänge hinab. Der Anker slippte, mehrere Ankermanöver misslangen, so dass wir die Bucht im ersten Büchsenlicht verlassen mussten. Aber das Ankerslippen ist so laut, dass man davon sowieso schnell wach wird, insbesondere, wenn man so einen leichten Schlaf hat, wie ich.

Heute segeln wir also wieder direkt auf Studland Bay zu und beschließen dort zu ankern, um am nächsten Morgen die noch benötigte Seekarte vom Seegebiet bis Falmouth beim Chandler Yachtausrüster) in Poole zu kaufen. Dann müssen wir nicht mehr nach Weymouth, denn das ist ein ziemlicher Umweg und können morgen wieder in Lulworth Cove ankern, wo es außer einer Handvoll Häusern, einem Heritage Center, dass über die Jurassic Coast informiert, einer Fish and Chips-Bude und einem Pub nichts weiter gibt.
Um 1845 fällt nach ca. 48 Seemeilen und 8,5 h Fahrt (mit Pause) der Anker vor dem Strand der Studland Bay. Nein, alleine sind wir weiß Gott nicht: außer uns sind mindestens 40 Yachten hier, davon ganze fünf Hunters. Das ist bestimmt ein Hunter-Treffen der Legend Owner Association UK, einer Vereinigung von Hunter Legend Besitzern, die reglmäßig gemeinsame Ausflüge veranstalten und deren Internetforum wir schon häufig frequentiert haben. Jedenfalls haben wir noch nie so viele Hunters auf einem Fleck gesehen. (Als wir am nächsten Tag nach Poole rein fahren, begegnet uns eine weitere.)
Das Wetter war heute wieder traumhaft schön, die See smooth or slight (Jargon des Wetterberichts). Wir speisen im Cockpit Pizza und Salat und genießen einen weiteren wunderschönen Sonnenuntergang. Angekündigt waren Regen und fog patches (Nebelfelder), aber es ist warm und mild und sommerlich und schön!!!
Unsere Tochter Laura schreibt eine SMS aus Lappland, wo sie zur Zeit weilt. Auch sie ist ganz begeistert, das Wetter fantastisch und überhaupt alles perfekt!
Tina, Jürgen und Sascha genießen ihren dreiwöchigen Urlaub auf Sylt und bei Tim ist eine Woche Action in Wacken, dem größten Heavy-Metal-Festival Deutschlands angesagt. Könnte es uns besser gehen?

Mittwoch, 02.08.2011 von Studland Bay nach Poole, Town Quay, ca 6 sm, 1 h Fahrt

Um 1000 fahren wir nach Poole rein. Die Ansteuerungstonnen liegen unmittelbar vor Studland Bay. Es ist schon wieder ein reges Leben auf dem Wasser. Muss hier niemand zur Arbeit??? An der engen Einfahrt zu der Lagune von Poole verkehrt eine chain ferry (eine Kettenfähre), die Autos und Fußgänger vom Ort zum Strand übersetzt. Solange die Autos auffahren, kann man schnell passieren, falls ein Auto hält, muss man auch schnell anhalten, denn dann fährt die Fähre rasch los und – klar – sie immer Vorfahrt. Einmal hindurch eröffnet sich einem der Blick auf ein riesiges Seen-/Lagunengebiet, einer der größten Naturhäfen der Welt, ein Paradies für Wassersport aller Art, geschützt vor den Unbilden des Meeres, lässt sich hier surfen, Jollensegeln, Wassermotorrad fahren (grrr...) usw. Wohin das Auge blickt, Boote, Boote, Boote. Wenn sie nicht an einer Mooring liegen, wuseln sie wild durcheinander. Wir müssen uns mit unserem Tiefgang an das Fahrwasser halten. Nach einer Stunde Fahrt, vorbei an Brownsea Island, einer hübschen, mitten in der Lagune liegenden Insel, einem beliebten Ausflugsziel für kommerzielle und private Boote, machen wir am Town Quay in Poole fest. Es gibt hier keinen Schwimmsteg, sondern man liegt an der Spundwand. Dafür stellt die Stadt aber Fenderbretter bereit, ohne die es quasi unmöglich wäre, schadenfrei zu liegen. Wir trollen uns in der mittlerweile herrschenden Hitze zur Chandlery, kaufen unsere Seekarte und ein paar Schrauben und Muttern (irgendwas braucht man ja ständig), gehen dann zum ASDA-Supermarkt und sind wieder genauso begeistert von dem Angebot wie in Shoreham. Es ist billig, es ist gut und es ist ein Paradies für Vegetarier – da kann ich mich nur wiederholen.
Alle Leute genießen ihren Urlaub und wir sollen schon weiter? Nein, kurzerhand beschließen wir zu bleiben! Auch wir machen Landurlaub, laufen durch´s Städtchen und am Ufer entlang bis wir müde sind. Dann gönnen wir uns einen Besuch im „Wetherspoon“, einer Pub-Kette (gerade wurde das 800. Lokal in England eröffnet), die zu sagenhaft günstigen Preisen Speisen und Getränke anbietet: wir hatten z. B. Jock: „Fish and Cips with mashed peas“ und ich einen „Double-Veggieburger mit Chips and battered onionrings“, je eine Pint Lagerbeer für zusammen 13,- Pfund. Sagenhaft! Außerdem laufen immer die interessantesten Typen herum, man hat viel zu gucken und kann sich köstlich amüsieren.
Abends laufen wir noch im Dunkeln herum, überall ist Livemusik, eine Band hier, eine Jamsession da, Karaoke (autsch) dort. Als wir zurück zum Schiff kommen, ist Niedrigwasser und der Relingsdraht straff gespannt, wo das Fenderbrett befestigt ist. Wir fühlen – es ist ein Wahnsinnszug darauf, der Relingsdraht kurz vor´m Zerreissen. Aufregung, was ist passiert? Die Kette, die das Brett mit dem Quay verbindet, hat sich unter Wasser verfangen. Schnell, das Messer her. Wir schneiden die Leine durch. Das war knapp! Da das Wasser gerade wieder steigt, hätte es in fünf Minuten zu spät sein können... Gerade rechtzeitig zurückgekommen! Als Jock die Kette befreit und eine neue Leine verknotet hat, beginnt es zu nieseln.
Noch vor dem Einschlafen geht der Nieselregen in heftige, schwere Tropfen über, die schließlich für den Rest der Nacht auf Deck prasseln.
Deshalb wollen wir ins Mittelmeer. Wir hatten es fast vergessen, denn hier ist es so schön. Wenn nur das Wetter verlässlicher wäre.

Donnerstag, 04.08.2011, Poole im Regen, bleiben wir hier?

Mittlerweile ist es 1000 und es regnet noch immer ohne Unterlass. Abfahrt war geplant für ca. 1200 Uhr. Wenn das hier nicht aufhört, haben wir keine Lust zu fahren. Wenn es unterwegs anfängt zu regnen, okay, aber schon im Regen abzufahren, fällt uns immer schwer.
Der aktuelle Wetterbericht sagt. Wind S - SW 4 – 5, seastate slight or moderate, rain, showers later (ich frage mich immer, worin der signifikante Unterschied besteht, die Engländer haben auch noch „drizzle“ im Angebot, aber nass ist nass, oder?), fog patches at first, becoming mainly fair later visibility moderate or good, occasionally very poor at first. Heisst also heute morgen schlecht, aber später besteht Hoffnung auf Besserung. Zumal der Forecast für morgen wieder Wetterbesserung ankündigt.
Mal schauen. Erst einmal gemütlich frühstücken, die gute heiße Dusche in der Marina in Anspruch nehmen und abwarten. Es gibt hier auch noch ein interessantes Museum über die Geschichte Pooles und der Jurassic Coast, das wir gerne besuchen würden.

Update: Ich sitze im Internetcafé bei einer guten Tasse Fairtrade-Tee. Es ist 1230 und das Wetter bessert sich zusehends. Abfahrt ist um 1330 Richtung Lulworth Cove, sollte der Wind gut stehen, auch weiter.

Jedenfalls, meine Lieben, geht es uns unverschämt gut, dafür sind wir dankbar und es ist uns täglich bewusst, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Liebe Grüße an alle Daheimgebliebenen, denen es hoffentlich ebenso gut geht!

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